Jonas Reetz

14.09.2020 Vom Weinen und Lachen

Als ich mich, bereits um eine halbe Stunde verspätet, in Hannahs WG wiederfand und vom Mitbewohner eingeladen wurde doch in der Küche mit ihm auf Hannah zu warten, da sie noch unter der Dusche stand, dachte ich mir schon, dass es ein besonderes Shooting werden wird. Nunja irgendwann kam die frisch geduschte Hannah neugierig in die Küche und begrüßte mich. Ihr Anblick verriet bereits, dass die letzte Nacht keine gewöhnliche war. Sie war übermüdet und die Augenlieder erzählten eine ganz eigene Geschichte der letzten Nacht. Es war ein gemischter Vibe aus wohl duftender Frische und kräftezehrender Müdigkeit, den Hannah an diesem Nachmittag verströhmte. Nach einem kurzen Smalltalk und bei mir steigender Aufregung in Hinblick auf die Zeit, die wir nun miteinander verbringen durften, lud sie mich ein doch auf den Balkon zu gehen und ihrer Katze Bacardi Hallo zu sagen. Das ließ ich mir natürlich nicht zweimal sagen. Ich bin schließlich bekennender Katzenliebhaber. Draußen kam gerade die Sonne heraus, nachdem es draußen geregnet hatte. Es lag dieser sommerliche Regenduft in der Luft. Dieser Duft bestehend aus nassem, frisch gemähtem Gras und Parfum. Ich begrüßte Bacardi mit ein paar Worten und Streicheleinheiten und legte mich auf den Boden des Balkons. Bacardi spürte, dass ich ein Freund war und legte sich ohne zu zögern auf meinen Bauch. Tolle Katze, dachte ich. Und Hannah war vollkommen geflasht. Nie zuvor vertraute sich Bacardi einem männlichen Menschen so schnell an. Da war was besonderes. Für mich und für Hannah. Ich glaube an diesem Tag hatte ich nicht nur Bacardi gegenüber eine solche Offenheit ausgestrahlt. Denn wie sich zeigte konnte sich Hannah mir gegenüber ebenfalls sehr schnell öffnen. Ich machte ein paar Fotos von Hannah und Bacardi und wir genossen die Luft und die Sonne. Hannah erzählte, dass die letzte Zeit sehr aufwühlend für sie war. Und vorallem die letzte Nacht. Sie kam an dem Morgen dieses Tages von einer Party zurück auf der neben angespannten Gesprächen auch eine Menge Drogen im Spiel waren. Eine insgesamt eher verwirrende Nacht für Hannah, die ihr in dieser Lebensphase zwar eine Möglichkeit bot sich Abzulenken, jedoch nicht gerade positiv für die Verarbeitung ihrer Herzensleiden zu sein schien. Nachdem es wieder anfing zu regnen beschlossen wir in Hannahs Zimmer zu gehen und eine Platte aufzulegen. Wir hörten Alice Phoebe Lou. Die Lieblingssängerin von Hannah und auch ich bin großer Bewunderer dieser außerordentlichen Sängerin und großen Frau, bei einer Körpergröße einer kleinen Fee. Diese Musik alleine lässt einen schon in melancholischer Stimmung zurück. Ich schoss ein paar Fotos von Hannah in ihrem Zimmer. Die nächste Platte durfte ich aussuchen. Wie durch einen Zufall hatte Hannah eine Platte meiner Lieblingssängerin: Joan Baez. Ich wäre beinahe vor Freude geplatzt. Während wir die knisternde Platte hörten, erzählte ich Hannah von einem Video, in dem sich Menschen gegenüber sitzen und einfach 1 Stunde lang in die Augen des Gegenüber blicken müssen. Und, dass irgendwann alle anfangen müssen zu weinen. Daraufhin sagte Hannah „Ich muss schon bei der Vorstellung weinen..“ und an ihrem Ton erkannte ich, dass sie dies bereits tat. Ich sagte „Komm wir machen das auch“ und nach einem kurzen Blickkontakt fing Hannah stark an zu Weinen. Die legte schluchzend ihr Gesicht in ihre Hände und ich drückte ab. Nachdem ich sie in den Arm genommen hatte und wir ein wenig schweigend auf dem Bett saßen, musste Hannah anfangen zu Lachen und erzählte mir, wie verrückt dieser Tag sei und, dass es eine sehr emotionale Zeit für sie sei. Ich war berührt und stolz, dass sich an diesem Tag gleich zwei Wesen so schnell öffnen konnten. Während ich ein paar Fotos von der mit Tränen in den Augen lachenden Hannah schoss, unterhielten wir uns über ihre Trennung und die letzten Wochen. Ich sagte „Hey Hannah zieh mal bitte diese Mütze hier so komisch über deinen Kopf, dass sie fast auf deinem Gesicht liegt und schau nach oben ins Dunkel der Mütze. Als Hannah meinen Anweisungen folgte und die Mütze aufsetzte, musste sich so stark lachen, dass ich Angst hatte zu langsam die Belichtung zu messen. Doch ich war schnell und der Moment im Kasten. Ich finde es wirklich außerordentlich wie das Ergebnis dieses Fotos die Lebenssituation von Hannah wiederspiegelt. Ich liebe es. Da ich nur diesen einen Film dabei hatte und nicht mehr viele Fotos übrig waren, beschloss ich die Location in eine andere Ecke des Zimmers zu verlegen. Ihre Leseecke. Die Leseecke, in der sie bisher noch nicht einmal gesessen hatte. Nun weihten wir ihre Leseecke ein und ich nutze die an der Wand hängende Leselampe als Lichtquelle. Es war bereits am dämmern und eigentlich viel zu wenig Licht vorhanden. Aber davon lies ich mich wie immer nicht abhalten und öffnete die Blende komplett. 1/8s Belichtungszeit aus der Hand? Eigentlich scheiße aber was solls. Somit knipse ich den Film voll. Mit einer Hannah, die ihr Zimmer aus einem ganz neuen Blickwinkel erlebte und eine Berg und Talfahrt hinter sich hatte. Die Lichtsetzung, der von oben herab leuchtenden Lampe, betont stark ihre vom Weinen gereizten Augen und lässt diese noch roter als Ohnehin erscheinen. Nach ein paar störenden Unterbrechungen durch ihre nette Mitbewohnerin, war der Film vollgeschossen, die Platte zum 3. Mal umgedreht und zu Ende gelaufen und unsere Gefühlswelt dermaßen strapaziert, dass wir das Shooting beendeten und ich nach einem kurzen auf Wiedersehen, die WG verließ.